Lyrik

Freitag, 12. Februar 2010

Konstantinos Kavafis: Ithaka

Ithaka

Brichst du auf gen Ithaka,
wünsch dir eine lange Fahrt,
voller Abenteuer und Erkenntnisse.
Die Lästrygonen und Zyklopen,
den zornigen Poseidon fürchte nicht,
solcherlei wirst du auf deiner Fahrt nie finden,
wenn dein Denken hochgespannt, wenn edle
Regung deinen Geist und Körper anrührt.
Den Lästrygonen und Zyklopen,
dem wütenden Poseidon wirst du nicht begegnen,
falls du sie nicht in deiner Seele mit dir trägst,
falls deine Seele sie nicht vor dir aufbaut.

Wünsch dir eine lange Fahrt.
Der Sommermorgen möchten viele sein,
da du, mit welcher Freude und Zufriedenheit!
In nie zuvor gesehene Häfen einfährst;
Halte ein bei Handelsplätzen der Phönizier
Und erwirb die schönen Waren,
Perlmutter und Korallen, Bernstein, Ebenholz
Und erregende Essenzen aller Art,
so reichlich du vermagst, erregende Essenzen,
besuche viele Städte in Ägypten,
damit du von den Eingeweihten lernst und wieder lernst.

Immer halte Ithaka im Sinn.
Dort anzukommen ist dir vorbestimmt.
Doch beeile nur nicht deine Reise.
Besser ist, sie dauere viele Jahre;
Und alt geworden lege auf der Insel an,
reich an dem, was du auf deiner Fahrt gewannst,
und hoffe nicht, dass Ithaka dir Reichtum gäbe.

Ithaka gab dir die schöne Reise.
Du wärest ohne es nicht auf die Fahrt gegangen.
Nun hat es dir nicht mehr zu geben.

Auch wenn es sich dir ärmlich zeigt, Ithaka betrog dich nicht.
So weise, wie du wurdest, in solchem Maße erfahren,
wirst du ohnedies verstanden haben, was die Ithakas bedeuten.

(Konstantinos Kavafis)


Bezaubernd - oder?

“Der Weg ist das Ziel” - eine Verkürzung, die diesem Text nicht gerecht wird.

Der Text spricht zwei Ebenen an - die innere Welt des Adressaten (Lesers) und dessen äußere Welt. Die Grundaussage lautet, dass man nur das fürchten muss, was man in sich trägt. Dies hat Auswirkungen auf die äußere Welt, die Art und Weise, wie man handelt.

Ithaka liegt ebenfalls im Inneren des Adressaten und steht stellvertretend für ein irgendwie geartetes Lebensziel, welches ihn dazu motiviert, sich in der äußeren Welt zu bewegen und dort zu handeln.
Zugleich ist jedoch klar, dass das Erreichen Ithakas das Ende der Existenz bedeutet.

Der Weg ist damit nicht das Ziel. Diese Sichtweise käme einem Perpetuum Mobile gleich, welches ohne zusätzliche motivierende Energie nur zum Selbstzeck läuft. Es braucht vielmehr ein Ziel – ein Ithaka – in der Ferne, welches angestrebt wird. Ohne dieses Ziel erscheint der Weg sinnlos.

Das Ziel sei allerdings weise gewählt, denn es zu erreichen bedeutet nicht viel mehr als das Ende zu finden. Sucht man also Erfüllung, so wäre es unklug ja töricht diese im Erreichen des Zieles zu sehen. Es empfiehlt sich eher den Weg in all seinen Besonderheiten zu genießen und sich stets zu prüfen, ob heraufziehende Gefahren nicht im Selbst verhaftet sind und ob “edle Regung” Geist und Körper anrührt.

Was zeichnet jenes Ithaka aus, welches das eigene Handeln motiviert?

Es scheint, als sei diese Frage bei vielen Menschen unbeantwortet geblieben. Das Verabsolutieren des ökonomischen Regimes, das Anhäufen von Reichtum zum Selbstzweck führt auf einen Weg, der keines Ziels bedarf. Hier ist der Weg tatsächlich das Ziel. Glücklich wird man auf einem solchen Weg jedoch nicht. Wirtschaftlich sinnvoll ist er, wie man sieht, ebenfalls nicht.

Kavafis hat Recht. Reichtümer anzuhäufen ist als Teil des Weges erstrebenswert. Als Ziel ist Besitzstand hingegen eine ungeeignete Größe.

Diese wunderbare Interpretation wurde gefunden bei krisenriese

Dienstag, 2. Februar 2010

Dich

Dich
dich sein lassen
ganz dich

Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will

Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln

Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist

Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit

Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer

(Erich Fried)


Höchstpersönlich gefunden in der Textsammlung von jemandem sehr Außergewöhnlichen.

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